Achtsam essen
„Viele Menschen haben das Essen verlernt. Sie können nur noch schlucken.“
(Paul Bocuse, französischer Star-Koch)
Seitdem ich mich mit der Achtsamkeitspraxis näher beschäftige, fällt mir immer häufiger auf, wie wenig Achtsamkeit für unsere Ernährung aufgebracht wird. Heutzutage sind wir oft abgelenkt. Wir müssen permanent viele verschiedene Eindrücke oder Informationen verarbeiten. Es wird gegessen, während wir von einem Termin zum nächsten eilen oder während wir vor dem Computer oder Fernseher sitzen. In unserer schnelllebigen Zeit ist achtloses Essen allgegenwärtig und das Bewusstsein für die Bedeutung von achtsamem Essen scheinen offensichtlich häufig zu fehlen. Natürlich mag es manchen schwer fallen sich auf eine so einfache Sache zu konzentrieren, jedoch ist es gerade aufgrund des permanenten Zeitdrucks heute umso wichtiger sich mehr Zeit zu nehmen und öfters aufmerksam, achtsam und bewusst zu essen.
„Achtsamkeit wurzelt in der Erkenntnis, dass, wenn wir das ignorieren, was wir sehen, berühren oder essen, es genau so ist, als existiere es gar nicht. … Wenn wir beim Essen fernsehen, abgelenkt sind und nicht wirklich etwas schmecken, gelangt das Essen in uns hinein, ohne dass wir es bemerken. Wir bleiben auf gewisse Weise hungrig und unbefriedigt. Wir stehen vom Tisch auf und suchen nach etwas anderem, das uns nähren kann.“ (Jan Chozen Bays, Achtsam essen, 2014, S. 22)
Achtsam zu sein bedeutet in sich selbst hineinzuhorchen. Dazu gehört auch, äußere Faktoren auszublenden oder sie zumindest zu selektieren. Durch achtsames Essen können wir lernen während des Essens präsenter und mit allen Sinnen wirklich „anwesend“ zu sein. Wir lassen uns ganz auf unsere Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle ein und erforschen unsere Glaubenssätze und Gewohnheiten. Es soll dabei aber nicht nur eine Möglichkeit sein, die Kommunikation zwischen Körper, Kopf und unserer Mahlzeit wiederherzustellen, sondern auch eine Anregung das Essen wieder mehr zu genießen.
Wichtig hierbei ist jedoch die regelmäßige Übung. Achtsamkeit ist wie ein Muskel, der trainiert werden kann. Je öfter trainiert wird, desto leichter wird es. Mit zunehmender Übung ist es auch wieder möglich, die Körpersignale deutlicher wahrzunehmen, sich wieder besser von diesen Signalen leiten zu lassen und somit wieder zu einem intuitiveren Essverhalten zu gelangen.
Die Rosinenübung
„Die Entdeckung einer neuen Speise fördert das Glück der Menschheit mehr als die Entdeckung eines neuen Sterns.“
(Jean Anthèlme Billat-Savarin, französischer Philosoph)
Die Rosinenübung gehört zu den wichtigsten des achtsamen Essens und ist eine gute Möglichkeit die Achtsamkeitspraxis auf einfache Weise zu üben. In dieser Art der „Meditation“ schärfen wir all unsere Sinne, lernen unserem Essen wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken und üben Dankbarkeit für das vermeintlich „Selbstverständliche“.
Bei dieser Übung wird ganz bewusst die gesamte Aufmerksamkeit einer einzelnen Rosine geschenkt. Die Rosine soll dabei mit der gleichen neugierigen, offenen, aufmerksamen und urteilsfreien Haltung erkundet werden, als würde man sie zum allerersten Mal im Leben sehen und essen. Als wäre man ein Kind, dass etwas Neues ganz genau erforscht und dafür alle Sinne nutzt: sehen, fühlen, riechen, hören und schmecken.
Anleitung:
Wie bereits erwähnt benötigt man für diese Achtsamkeitsübung man eine einzelne Rosine. Anstelle der Rosine kann auch ein anderes kleines Lebensmittel, wie etwa eine Nuss, eine Himbeere oder eine Erdbeere verwendet werden.
1. Sehen
Zunächst wird die Rosine rein äußerlich untersucht. Man beginnt damit sie sich genau anzusehen. Alle Einzelheiten, die Formen, Strukturen und Farben werden wahrgenommen. Glänzt die Haut oder ist sie matt? Sieht die Rosine appetitlich aus? Wie ist das Licht- und Schattenspiel der Oberfläche? Wie würde man das Aussehen beschreiben?
2. Riechen
Als nächstes wird an der Rosine gerochen. Welche Begriffe tauchen dabei auf? Riecht die Rosine süß, fruchtig, sauer, holzig, modrig, scharf? Riecht es appetitlich? Ändert sich die Intensität des Geruchs oder wird dieser zwischen beiden Nasenlöchern anders aufgenommen? Kommen bei diesem Geruch vielleicht sogar Erinnerungen auf?
3. Fühlen
Nun werden die Finger genutzt, um die Rosine weiter zu erkunden. Dabei kann die Rosine leicht gedrückt oder auch zwischen den Fingern gedreht werden. Wie fühlt sie sich an? Gibt sie nach, wenn man sie drückt? Ist sie weich oder fest? Ist die Oberfläche rau, glatt, klebrig, trocken? Auch hier kann man sich überlegen, wie man seine Empfindungen jemand anderes beschreiben würde.
4. Hören
Als nächstes hält man die Rosine an sein Ohr. Wie hört sie sich an, wenn man sie zwischen den Fingern dreht oder leicht drückt? Gibt sie ein Geräusch von sich?
5. Schmecken
Zum Abschluss der Übung wird die Rosine zwischen die Lippen genommen, jedoch noch nicht in den Mund. Was empfindet man, während die Rosine zwischen den Lippen liegt. Regen sich die ersten Geschmacksnerven? Läuft einem das Wasser im Mund zusammen? Wie fühlt sich die Rosine an?
Erst jetzt wird die Rosine vollständig in den Mund genommen, jedoch noch nicht gekaut. Sie liegt behutsam zwischen Zunge und Gaumen. Wie fühlt sich die Rosine auf der Zunge an? Anders als zwischen den Fingern oder den Lippen? Schmeckt man schon etwas? Nun bewegt man die Zunge. Ändert sich die Konsistenz? Der Geschmack?
Nun nimmt man den ersten bewussten Bissen. Welche Empfindungen entstehen? Wie schmeckt die Rosine? Welche Geschmacksnoten erkennt man? Kommen auch hier Erinnerungen hoch?
Auch beim Schlucken beobachtet man seine Empfindungen ganz genau. Die Bewegungen der Zunge, in Hals und Rachen. Wie fühlt es sich an? Welcher Geschmack und welches Gefühl bleiben präsent? Wie lange?
6. Ende
Zum Ende der Übung bleibt man noch kurz ruhig sitzen und beobachtet die Gedanken, die entstehen. Möglicherweise schließt man die Augen und lauscht noch einmal in sich hinein.
Die Übung kann beliebig lang und oft durchgeführt werden. Jedes Mal kann dafür auch ein anderes Lebensmittel oder auch Getränk ausgewählt werden.
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